Susan Sontag: Anmerkungen zu >>Camp<< (1964) [Teil 1]

Zu Beginn ihres Textes führt die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag den Begriff des „Camps“ ein. Für sie stellt der Begriff des „Camps“ eine Erlebnisweise dar. Diese Erlebnisweise ist eine Variante des „Intellektualismus“. Laut der Autorin lassen sich Erlebnisweisen nur schwer beschreiben und besprechen. Der Begriff des „Camps“ lässt sich nur unzureichend umschreiben, da ein Camp keine natürliche Weise des Erlebens darstellt. Des Weiterem gehört zu seinem Wesen die Liebe zum Unnatürlichen, d.h. zum Trick und zur Übertreibung. Kleinen urbanen Gruppen dient ein Camp als ein geheimes „Erkennungszeichen“. Anhand des Erkennungszeichens können sich die Gruppenangehörigen gegenseitig als Mitglieder derselben Gruppe identifizieren. Bisher wurden in der Literatur kaum Texte über die Bedeutung des „Camps“ verfasst, da der Begriff sonst seine geheimnisvolle Art verlieren würde. Über Camp zu reden ist nur dann ein gerechtfertigter Verrat, wenn eine Person dadurch eine innerliche Stärkung erreicht oder einen Konflikt mit seiner Erlebnisweise lösen kann. Susan Sontag sieht für sich selbst beide zuvor genannten Kriterien als erfüllt an und begründet auf diese Weise, warum sie ihrer Meinung nach über Camp sprechen darf. Laut ihrer Auffassung ist es für einen Menschen nur dann möglich „eine Erlebnisweise“ zu benennen, wenn er für diese sowohl Sympathie als auch Abscheu empfindet. Wenn jemand ausschließlich Sympathie für eine Erlebnisweise empfindet, ist er nicht in der Lage dazu diese zu analysieren (Vgl. S. 229).

Die meisten Menschen verorten den Geschmack und die Erlebnisweise in „dem Bereich einer rein subjektiven Wahl“. Dies bedeutet, dass sie andere Menschen und Kunstwerke nach ihrem persönlichen Geschmack beurteilen. Entspricht ein Kunstwerk oder ein Mensch nicht dem persönlichen Geschmack, werden diese oftmals herablassend behandelt. „Jede freie menschliche Reaktion“ wird vom eigenen Geschmack bestimmt. Das sich Geschmäcker nur unregelmäßig entwickeln, zeigt sich darin, dass ein Mensch auf der einen Seite über einen guten „visuellen Geschmack“ und auf der anderen Seite über einen schlecht ausgebildeten Geschmack verfügen kann, wenn es darum geht, den Charakter eines Menschen zu beurteilen (Vgl. S. 229f.).

Laut Sontag hat Geschmack kein bestimmtes System, folgt aber einer gewissen Logik. Der Geschmack eines Menschen wird durch „eine gleichbleibende Erlebnisweise“ erzeugt, die diesem auch zugrunde liegt. Erlebnisweisen können zwar beschrieben werden, aber sobald der Versuch unternommen wird eine Erlebnisweise in ein System einzuordnen, löst sich diese auf und wird zu einer „Idee“ (Vgl. S. 230).

Eine Erlebnisweise lässt sich eher in „kurzen Anmerkungen“ als in einer „Abhandlung“ beschreiben. Über Camp kann keine „wissenschaftliche Abhandlung“ verfasst werden, die dieser Erlebnisweise auch gerecht wird (Vgl. S. 230f.)

Im nachfolgenden Text hat Susan Sontag 58 kurze Anmerkungen zum Camp verfasst.

Zu Beginn wird herausgestellt, dass Camp „die Welt als ästhetisches Phänomen“ auffasst. Bei dieser Betrachtungsweise steht nicht die „Schönheit“, sondern der „Grad der Stilisierung“ im Vordergrund. Eine Betonung des Stils geht mit einer Vernachlässigung des Inhalts einher. Beim Camp handelt es sich um eine unpolitische Erlebnisweise.

Susan Sontag führt aus, dass es sich bei Camp sowohl um Eigenschaften einer Sache als auch einer Person handeln kann. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass „nicht alles als Camp betrachtet werden“ kann. Dinge, die als „campy“ bezeichnet werden können, sind beispielsweise „King Kong“, „Bellinis Opern“ oder „Schwanensee“ (Vgl. 231f.).

Der „Camp-Geschmack“ tendiert dazu, bestimmte Kunstauffassungen zu bevorzugen. Bei „Camp-Kunst“ handelt es sich häufig um „dekorative Kunst“, die über Inhalt und Form verfügen muss (Vgl. S. 232).

Susan Sontag stellt heraus, dass „Camp-Kunst“ eine Kunst der Randgruppen ist. Auch unter seriösen Gesichtspunkten als minderwertig deklarierte Kunst kann zu großen Teilen als „Camp-Kunst“ bezeichnet werden. Es bleibt zu betonen, dass das Attribut der Minderwertigkeit nicht Grundvoraussetzung dafür ist, ob etwas als Camp bezeichnet werden kann oder nicht (Vgl. S. 232f.).

Die amerikanische Schriftstellerin betont, dass „Camp-Kunst“ nur ein vom Menschen produziertes künstliches Erzeugnis sein kann. Naturerzeugnisse hingegen können nicht als „campy“ bezeichnet werden.

Bei Camp handelt es sich „um eine Betrachtung der Welt unter dem Gesichtspunkt des Stils“. Vor allem der Jugendstil eignet sich zu einer Betrachtung der Welt (Vgl. S. 233).

Der „Camp-Geschmack“ neigt bei der Beurteilung von Personen zu Extremen. Des Weiteren steht in der „Camp-Kunst“ der „Androgyn“ im Vordergrund. Dies bedeutet, dass sich männliche und weibliche Merkmale in der Kunst zu einem Kunstwerk vereinigen.  Kein Mensch oder Gegenstand kann existieren ohne eine Rolle zu spielen. (Vgl. S. 233f.)

Laut Susan Sontag ist das Camp der Sieg des „epizönischen Stils“. Dies bedeutet das alles austauschbar ist. Darüberhinaus ist es wichtiger danach zu fragen wann etwas Camp ist als warum etwas Camp ist.

Der Ursprung des „Camp-Geschmacks“ liegt im 18. Jahrhundert. Der heutige „Camp-Geschmack“ ist gegen die Natur gerichtet und unterscheidet sich vom „Camp-Geschmack“ des 18. Jahrhunderts, der auf das Behüten der Natur oder deren Umwandlung in etwas Künstliches ausgerichtet war. Eine gewisse Sentimentalität gegenüber der Vergangenheit haben sowohl der heutige als auch der „Camp-Geschmack“ des 18. Jahrhunderts gemeinsam (Vgl. S. 234).

 

Literatur:

Reckwitz, Andreas u. Prinz, Sophia u. Schäfer, Hilmar (Hg.): Ästhetik und Gesellschaft. Grundlagentexte aus Sozioologie und Kulturwissenschaft, Berlin 2015, S. 229-248.

Sontag, Susan: „Anmerkungen zu Camp“, in: dies., Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen, Reinbek: Rohwohlt 1968, S. 269-284 [„Notes on Camp, in: dies., Against Interpretation, and other Essays, New York: Anchor Books 1990, S. 275-292; Erstausgabe des Buches New York: Farrar. Straus & Giroux 1966; der Aufsatz erschien erstmals in: The Partisan Review 31 (1964), S. 515-530]. Aus dem Englischen von Mark W. Rien.

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