Boris Groys: Über das Neue (1992) [Teil I]

Im nachfolgenden Text werden Textauszüge aus Boris Groys Werk „Über das Neue“ zusammengefasst.

Der erste Textauszug wurde dem Einführungskapitel des Werkes entnommen. Hier schreibt der in Deutschland geborene Philosoph, dass in der „Postmoderne“ das Neue als „unzeitgemäß“ wahrgenommen wird. In der heutigen Zeit, die für Groys die postmoderne Zeit darstellt, wird „das Streben nach dem Neuen“ häufig mit einer Fiktion in Verbindung gebracht. Laut seiner Auffassung haben die meisten Menschen den Glauben daran verloren, dass es einen „neuen historischen Anfang“ geben könnte, der dazu führt, dass sich die „Existenzbedingungen“ der Menschen in der Zukunft radikal verändern. Nach dieser Vorstellung bringt die Zukunft nichts Neues, sondern eine nicht endende Modifikation des bereits Bekannten mit sich. Die andauernde Nachbildung „der Vergangenheit und Gegenwart“ kann sowohl Depressionen hervorrufen als auch befreiend sein. Niedergeschlagenheit kann dadurch ausgelöst werden, dass der Reproduktionsprozess endlos ist und nicht gestoppt werden kann. Die Kunst hingegen muss nicht nach der Entdeckung von etwas Neuem streben, was sich befreiend auswirken kann (Vgl. S. 370).

Es gilt zu beachten, dass der Begriff der Postmoderne nicht eindeutig definiert ist. Laut Groys Auffassung zweifelt die Postmoderne daran, dass es etwas „geschichtlich Neues“ geben kann. Die Moderne zeichnet sich dadurch aus, dass sie Altes überwindet, wohingegen die Postmoderne die Überwindung der Moderne ausschließt (Vgl. S. 370 [Fußnote]).

Im weiteren Verlauf seines Textes betont Groys, dass „die Ausrufung einer neuen postmodernen Epoche“ einen Widerspruch zur eigentlichen Bedeutung des Begriffs der Postmoderne darstellen würde. Eine postmoderne Epoche hat es in der Geschichte zuvor noch nie gegeben. Es handelt sich also um etwas Neues und nicht um die Reproduktion von etwas, was schon zuvor dagewesen ist (Vgl. S. 371).

Obwohl die Postmoderne daran glaubt, dass es nie wieder etwas Neues geben wird, erkennt Groys in ihr „modernistisches Denken“.  Das Verständnis, dass das was bereits gewesen ist ständig reproduziert wird, beinhaltet auch die ständige Reproduktion des „individuellen Strebens nach dem Neuen“, da dies auch Bestandteil des bereits Gewesenen ist. Aus diesem Grund kann der „modernistische Utopismus“ auch von der Fiktion, von jetzt an für immer auf Neues zu verzichten, nicht überwunden werden (Vgl. S. 372).

In der Neuzeit kam der Glaube auf, dass es „etwas endgültig Neues“ geben würde, dem nichts mehr Neues nachfolgen könne und das uneingeschränkt über die Zukunft herrschen würde. An verschiedenen Beispielen versucht Groys dies zu belegen. Beispielsweise schreibt er, dass „sich jede moderne Strömung“ der Kunst für die letztmöglichste künstlerische Ausdrucksweise hielt. In der modernen Vorstellung wird auf das „endgültig Neue“ gewartet, wohingegen es nach der postmodernen Vorstellung bereits da ist (Vgl. S. 372).

In der Moderne wird häufig zu etwas Neuen ausgerufen um den „Wandel der Zeit“ in bestimmte Bahnen zu lenken oder gar zu stoppen. Der „Wandel der Zeit“ soll als Fortschritt dargestellt werden. Die Künstler und Literaten der Moderne stehen jedoch unter einem „außerideologischen Innovationszwang“. Sollten ihre Werke früher im Sinne der Tradition sein und deren Kriterien erfüllen, verlangt die Moderne, dass sie mit ihren Werken Neues schaffen. Die Produktion des Neuen findet nicht statt, weil es der freie Wille der Menschen ist, sondern weil sie von der „Kultur der Neuzeit“ gefordert wird. Der Bruch mit dem Alten findet nur statt, um dafür Sorge zu tragen, dass die Kultur funktioniert (Vgl. S. 372f.).

Während das alte Kulturverständnis das Neue als das Wahre verherrlicht hat, stellt das Neue in der Moderne nicht länger eine Offenbarung des Wahren dar. Dem alten Kulturverständnis zufolge muss Kunst die Welt wirklichkeitsgetreu beschreiben oder darstellen. Es wird vorausgesetzt, dass Menschen einen direkten Zugang zur Wirklichkeit haben. Wenn ein Mensch über keinen direkten Zugang zur Wirklichkeit verfügt, kann er nicht feststellen, ob „eine Übereinstimmung oder nicht Übereinstimmung mit der Wirklichkeit“ vorliegt oder nicht (Vgl. S. 373f.).

Um als berechtigtes und moralisches Kunstwerk zu gelten, muss jedes Kunstwerk, das „nicht die sichtbare Welt abbildet“, eine nach innen versteckte „wahre Realität abbilden“. Alle anderen Kunstwerke gelten als moralisch verwerflich und unberechtigt, da sie sonst nur Resultat eines „bloßen Strebens nach dem Neuen um des Neuen Willen“ sind (Vgl. S. 374f.).

Die Entstehung des Neuen kann in jedem einzelnen Fall damit erklärt werden, dass die Forderung nach Neuem kulturell verankert ist. Jeder Mensch muss sich dieser Forderung unterwerfen, da er sonst innerhalb der Kultur nicht die Anerkennung erfährt, die er anstrebt. Auch in der Postmoderne, in der sich sowohl von einem zielgerichteten Fortschritt als auch von einer „neuen Offenbarung des Verborgenen“ verabschiedet wurde, stellt „das Streben nach dem Neuen um des Neuen willen“ ein Gesetz dar. Oft wird das Streben nach dem Neuen jedoch als wertlos wahrgenommen, da das Neue „keine Wahrheit mit sich bringt“. Wenn die Menschen beim Alten bleiben würden, dann wird dadurch gegen die kulturelle Regel verstoßen, die besagt, dass ständig Neues hervorgebracht werden muss. Neues ist unvermeidbar und es gibt keine Möglichkeit gegen die kulturelle Regel zu verstoßen (Vgl. S. 375f).

Literatur: Auszug aus Boris Groys, Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, Frankfurt/M.: Fischer 2004, S. 9-12, 55f. u. 63-65; Erstausgabe des Buches München: Hanser 1992.

Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede (1979)

Bevor im nachfolgenden Text Textauszüge aus Pierre Bourdieus Werk „Die feinen Unterschiede“ zusammengefasst werden, folgt zu Beginn eine kurze Zusammenfassung von Pierre Bourdieus Grundgedanken. Diese Grundgedanken wurden aus der Dokumentation „Pierre Bourdieu – Die feinen Unterschiede entnommen. Sie wurde vom Hessischen Rundfunk im Jahr 1981 ausgestrahlt.

Pierre Bourdieu hat sich die Frage gestellt, was der Geschmack zur Reproduktion sozialer Ungleichheit beiträgt und was soziale Präferenzen über den sozialen Stand, die soziale Stellung und die soziale Klasse aussagen.

Bildausstellungen repräsentieren laut dem französischen Soziologen immer einen Kunstgeschmack und einen Lebensstil. Die Besucher einer Kunstaustellung repräsentieren sich selbst. Sie repräsentieren ihren Geschmack, ihren Lebensstil und ihre Lebensart. Verständnislosigkeit gegenüber Bildern hat nichts mit Dummheit oder Unbegabtheit zu tun. Das Verständnis von Kunst das eine Person hat, hängt von ihrer Schulbildung ab, die wiederum von der sozialen Herkunft abhängt. Auch die Lebenseinstellung einer Person ist von ihrer sozialen Herkunft abhängig.

Laut Bourdieus gibt es einen Zusammenhang zwischen Lebensstil und gesellschaftlicher Position. Dieser Zusammenhang ist nicht mechanisch, d. h. wenn bekannt ist welche Position jemand in der Gesellschaft einnimmt, führt dies nicht automatisch dazu, dass auch ihr Geschmack erkannt wird. Als Verbindungsglied zwischen gesellschaftlicher Position und Lebensstil fungiert der „Habitus“. Der Habitus ist eine allgemeine Grundhaltung gegenüber der Welt. Wer den Habitus einer Person kennt, weiß intuitiv welches Verhalten dieser Person verwehrt ist. Jeder Mensch ist aufgrund seiner Schichtzugehörigkeit in seinem Denken eingeschränkt, zum Beispiel führen bestimmte Dinge bei einem Kleinbürger zu Entsetzen und sind für diesen nicht denkbar, wohingegen ein Angehöriger einer anderen Schicht diese als normal empfindet. Jedem Menschen sind in seinem Denken Grenzen gesetzt. Innerhalb dieser Grenzen kann er frei agieren, sie jedoch kaum übertreten. Soziale Grenzen werden von der Herkunft gesetzt.

Das Klassenmodell Bourdieu entspricht einem Achsenmodell. Unten befindet sich die Volksklasse (untere Klasse), in der Mitte die Mittelklasse und oben die Oberklasse. Auf der linken Achse befindet sich das kulturelle Kapital und auf der rechten Achse das ökonomische Kapital. Aufgrund dieser Unterteilung kann ein Mensch der nur wenig ökonomisches Kapital besitzt, aber sehr gebildet ist zur Oberklasse gehören. Der gesellschaftliche Raum ist von Kampf geprägt, da alle Menschen sozial aufsteigen wollen (Vgl. Pierre Bourdieu – Die feinen Unterschiede).

Nachdem Pierre Bourdieus Grundgedanken zusammengefasst wurden, folgt eine Zusammenfassung der Textauszüge aus Bourdieus Werk „Die feinen Unterschiede“.  In der Einleitung seines Werkes schreibt der französische Soziologe Pierre Bourdieu, dass „auch kulturelle Güter“ einer Wirtschaft unterliegen. Diese Wirtschaft verfügt über eine eigene Logik, nach der Kulturgüter ihre Konsumenten und deren Geschmäcker selbst produzieren. Soziologen versuchen die Bedingungen zu ergründen, die diesem Produktionsprozess zugrunde liegen. Des Weiteren möchten sie verstehen, zu welchen Zeiten und auf welche Arten sich Konsumenten ein bestimmtes Kulturgut angeeignet haben und herausfinden, welche gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Aneignung verantwortlich sind. Ob sich ein Mensch ein Kulturgut aneignet oder nicht, hängt eng mit seinem Bildungstand sowie seiner sozialen Herkunft zusammen. Dies bedeutet, dass die Aneignung von Kulturgütern kein „reines Naturerzeugnis“ ist, sondern von der „familialen und schulischen Erziehung“ abhängt, die wiederum von der eigenen sozialen Herkunft beeinflusst wird. Der Geschmack einer Person wird von der sozialen Klasse der sie angehört bedingt. Auch der Aneignungsprozess eines Kulturguts ist von der sozialen Herkunft eines Menschen abhängig. Jede soziale Klasse hat ihre eigenen Codes, an denen sie zu erkennen ist (Vgl. S. 304f.).

Im zweiten Textauszug, der mit der Überschrift die „Die Distanz zur Notwendigkeit“ versehen ist, stellt Bourdieu die These auf, dass Menschen mit einem hohen Bildungsgrad ein Werk „unabhängig von seinem Inhalt“ zu würdigen wissen. Einer zweiten These zufolge hängt die ästhetische Einstellung eines Menschen von seinem sozialen Stand ab. Darüber hinaus sind die „materiellen Existenzbedingungen“ eines Menschen dafür verantwortlich, wie er seine ästhetischen Einstellungen anwendet (Vgl. S. 305).

Laut dem französischen Soziologen neigt die ästhetische Einstellung dazu, „Natur wie Funktion des Dargestellten“ zu übergehen. Stattdessen rückt sie die Darstellungsweise und den Stil in den Vordergrund und „bewertet im Vergleich zu anderen Stilen“. Nur wenn wirtschaftliche Zwänge ausgeschlossen sind, können „Formen des Lernens von legitimer Kultur“ erlernt werden. Dabei spielt es keine Rolle ob der Lernort innerhalb der Familie oder Schule liegt (Vgl. S. 306).

Um zu belegen, dass Menschen keine angeborene Weltanschauung besitzen, sondern diese erst im Laufe eines Sozialisationsprozesses erworben wird, führt Bourdieu das Beispiel eines Kleinkindes auf, das die Welt als einen magischen Ort wahrnimmt an dem alles möglich ist (Vgl. S. 306).

Jeder Mensch ist aufgrund seiner Rolle und seines Denkens limitiert. Seine ästhetische Einstellung bildet sich zum einen durch „Welterfahrung“ und zum anderen durch „Tätigkeiten“ wie zum Beispiel das Betrachten eines Kunstwerkes. Die „ästhetische Einstellung“ wird von der Erziehung in der Schule und innerhalb der Familie beeinflusst (Vgl. S. 307).

Laut Bourdieu suchen Frauen und Jugendliche, die vom Wirtschaftsleben ausgeschlossen sind, Zuflucht in der Ästhetik. Die wirtschaftliche Macht ist darauf ausgerichtet, dem ökonomischen Zwang und der Not gegenüber Distanz zu verschaffen. Die Schicht des Bürgertums ist von Gegensätzen geprägt, wie zum Beispiel der „Arbeits- und Wohnstätte“ (Vgl. S. 307f.).

Mit Hilfe ihres Lebensstils wollen sich Menschen nicht nur von den Lebensstilen anderer Menschen abgrenzen, sondern auch ihre eigene Überlegenheit ausdrücken. Genauso wie die einzelnen Individuen versuchen sich auch die einzelnen Schichten voneinander abzugrenzen (Vgl. S. 308).

In seinem Kapitel „Der ästhetische Sinn als Sinn für die Distinktion“ schreibt Bourdieu, dass die ästhetische Einstellung Menschen sowohl trennen als auch verbinden kann. Menschen mit gleichen ästhetischen Einstellungen werden zu einer Einheit verbunden, wohingegen die Differenzen von Menschen mit unterschiedlichen ästhetischen Einstellungen weiter zunehmen. Um den eigenen Geschmack zu rechtfertigen wird der Geschmack anderer bewusst abgelehnt. Diese Ablehnung kann gewalttätige Auseinandersetzungen zur Konsequenz haben. Aus der Ablehnung anderer Lebensstile entstehen zwischen den einzelnen Klassen unüberwindbare Grenzen. Viele Menschen halten ihren Geschmack für den einzig legitimen Geschmack und lehnen Verbindungen unterschiedlicher Geschmacksrichtungen, die ihrer Meinung nach nicht miteinander vereinbar sind, ab. In „Auseinandersetzungen um Kunst“, geht es den Menschen immer darum, ihren jeweiligen Lebensstil durchzusetzen. Jeder Künstler lässt in seinen Kunstwerken seinen Lebensstil einfließen (Vgl. S. 310f.).

Laut dem französischen Soziologen werden „ästhetische Positionen“ unter anderem durch Kleidung ausgedrückt. Sie wird dazu benutzt den eignen Status zu repräsentieren und sich von anderen zu unterscheiden. Nur Künstler und „die höchsten Kreise der Bourgeoisie“ sind nach Bourdieus Meinung dazu befähigt, „ihre Lebensform zu einer Kunstform zu erheben“ (Vgl. 212).

Alle Schichten die in der gesellschaftlichen Rangordnung oberhalb der Unterschicht angesiedelt sind, wollen sich von dieser bewusst abgrenzen. Mit dem Aufkommen des „kleinbürgerlichen Ästhetizismus“ versuchten sich die Menschen durch Zurschaustellung ihres Lebensstils bewusst von den unteren Klassen zu distanzieren (Vgl. S. 313).

Während Bourdieu in den Auszügen zuvor von einer „legitimen Kunst“ geschrieben hat, ordnet er in seinem letzten Auszug die Photographie der „mittleren Kunst“ zu. Die Photographie machte die unteren Schichten zum Gegenstand von Mitleid und Entrüstung (Vgl. S. 313f.)

Verständnisfragen:

Was ist mit „Ernsthaftes ohne den Geist des Ernsthaften“ gemeint? (S. 308)

Was versteht Pierre Bourdieu unter „ungebunden Geschmack“? (S. 309)

Was meint er mit „der reinen und interessenlosen Einstellung“? (S. 309)

Literatur: Auszug aus Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982, S. 17f., 100-108 u. 110f. [La distinction. Critique sociale du jugement, Paris: Les Édition de minuit 1979, S. I-II, 56-64]. Aus dem Französischen von Bernd Schwibs und Achim Russer.

Dokumentation: Pierre Bourdieu – Die feinen Unterschiede: https://www.youtube.com/watch?v=gQSYewA03BU (letzter Zugriff: 21.06.2016).

Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede (1979)

Im nachfolgenden Text werden Textauszüge aus Pierre Bourdieus Werk „Die feinen Unterschiede“ zusammengefasst.

In der Einleitung seines Werkes schreibt der französische Soziologe Pierre Bourdieu, dass „auch kulturelle Güter“ einer Wirtschaft unterliegen. Diese Wirtschaft verfügt über eine eigene Logik, nach der Kulturgüter ihre Konsumenten und deren Geschmäcker selbst produzieren. Soziologen versuchen die Bedingungen zu ergründen, die diesem Produktionsprozess zugrunde liegen. Des Weiteren möchten sie verstehen, zu welchen Zeiten und auf welche Arten sich Konsumenten ein bestimmtes Kulturgut angeeignet haben und herausfinden, welche gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Aneignung verantwortlich sind. Ob sich ein Mensch ein Kulturgut aneignet oder nicht, hängt eng mit seinem Bildungstand sowie seiner sozialen Herkunft zusammen. Dies bedeutet, dass die Aneignung von Kulturgütern keine „reines Naturerzeugnis“ ist, sondern von der „familialen und schulischen Erziehung“ abhängt, die wiederum von der eigenen sozialen Herkunft beeinflusst wird. Der Geschmack einer Person wird von der sozialen Klasse der sie angehört bedingt. Auch der Aneignungsprozess eines Kulturguts ist von der sozialen Herkunft eines Menschen abhängig (Vgl. S. 304f.).

Im zweiten Textauszug, der mit der Überschrift die „Die Distanz zur Notwendigkeit“ versehen ist, stellt Bourdieu die These auf, dass Menschen mit einem hohen Bildungsgrad ein Werk „unabhängig von seinem Inhalt“ zu würdigen wissen. Einer zweiten These zufolge hängt die ästhetische Einstellung eines Menschen von seinem sozialen Stand ab. Darüber hinaus sind die „materiellen Existenzbedingungen“ eines Menschen dafür verantwortlich, wie er seine ästhetischen Einstellungen anwendet (Vgl. S. 305).

Laut dem französischen Soziologen neigt die ästhetische Einstellung dazu, „Natur wie Funktion des Dargestellten“ zu übergehen. Stattdessen rückt sie die Darstellungsweise und den Stil in den Vordergrund und „bewertet im Vergleich zu anderen Stilen“. Nur wenn wirtschaftliche Zwänge ausgeschlossen sind, können „Formen des Lernens von legitimer Kultur“ erlernt werden. Dabei spielt es keine Rolle ob der Lernort innerhalb der Familie oder Schule ist (Vgl. S. 306).

Um zu belegen, dass Menschen keine angeborene Weltanschauung besitzen, sondern diese erst im Laufe eines Sozialisationsprozesses erworben werden, führt Bourdieu das Beispiel eines Kleinkindes auf, das die Welt als einen magischen Ort wahrnimmt an dem alles möglich ist (Vgl. S. 306).

Literatur: Auszug aus Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982, S. 17f., 100-108 u. 110f. [La distinction. Critique sociale du jugement, Paris: Les Édition de minuit 1979, S. I-II, 56-64]. Aus dem Französischen von Bernd Schwibs und Achim Russer.

Dick Hebdige: Subculture – Die Bedeutung von Stil (1979)

Im nachfolgenden Text werden Textauszüge aus Dick Hebdiges Werk „Subculture – Die Bedeutung von Stil (1979)“ zusammengefasst.

Der erste Textauszug trägt die Überschrift „Stil als Bricolage“ und beginnt mit einer Einführung in den Begriff der „Subkultur“. Laut dem britischen Soziologen Dick Hebdige stammen die meisten Subkulturen aus dem Umfeld der Arbeiterklasse. Alle Subkulturen verbindet eine „auffällige Konsumhaltung“ sowie das strikte Ablehnen „bestimmter Konsumarten“. Jede Subkultur hat bestimmte „Konsumrituale“. Anhand dieser Rituale wird zum einen die verborgene „Identität“ der jeweiligen Subkultur sichtbar gemacht und zum anderen wird deren „verbotene Bedeutung“ herausgestellt. Von strengen und unnachgiebigen „Kulturformen“ unterscheiden sich Subkulturen nach Hebdiges Meinung dadurch, nach welchen Mustern sie „Waren benutzen“ (Vgl. S. 317).

Um die Frage zu klären, wie die verschiedenen Stile der Subkulturen aufgebaut sind, greift Hebdige auf Erkenntnisse aus der Anthropologie zurück. Laut seiner Auffassung eignet sich besonders das vom französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss eingeführte Konzept der „Bricolage“ dazu, den Aufbau der Stile der Subkultur zu erklären. In seinem Werk „Das wilde Denken“ schreibt Lévi-Strauss, dass die von „nicht zivilisierten“ Völkern angewandten „magischen Formen“, zu denen zum Beispiel „Aberglaube“ oder „Hexerei“ zählen, als geheime Systeme betrachtet werden können. Für Außenstehende ist das System der „magischen Formen“ unverständlich, während es die Benutzer dazu befähigt Dinge miteinander in Bezug zu setzen und deren Zusammenhänge zu verstehen. Das System lässt sich beliebig erweitern, da die verschiedenen Elemente aus denen es besteht, auf unterschiedlichste Art miteinander kombiniert werden können. Eine Erweiterung des Systems, kann als Konsequenz mit einer veränderten Bedeutung einhergehen (Vgl. S. 317).

Das Konzept der „Bricolage“ wird auch „als Wissenschaft des Konkreten bezeichnet“. Als „Bricolage“ wird die Art bezeichnet, in der das ungebildete Denken „nicht zivilisierter“ Menschen auf die Umwelt die sie umgibt reagiert. In diesem Prozess wird ein System erstellt, in dem die kleinsten Teilchen „der physischen Welt“ geordnet, eingeteilt und zu Gefügen zusammengestellt werden. Die Antworten auf die Umwelt die infolge der Entstehung des Systems zustande kommen, sind zum einen spontan und zum anderen improvisiert. Um die Welt erklären zu können, versucht der Mensch in diesem Prozess Übereinstimmungen und Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen den Ordnungsweisen der Gesellschaft und der Natur herzustellen (Vgl. S. 317f.).

Wenn von dem Verständnis ausgegangen wird, dass ein Objekt und dessen Bedeutung zusammengenommen ein Zeichen bilden, das in jeder erdenklichen Kultur zu einer „charakteristischen Diskursform zusammengestellt wird“, dann handelt es sich beim Bricoleur um den Erzeuger neuer Diskurse. Der Bricoleur verändert die Position des bezeichneten Objekts innerhalb eines Diskurses oder bringt es in eine veränderte Zusammenstellung. Durch diese Veränderungen entstehen neue Diskurse, in denen andere Botschaften als im Ursprungsdiskurs vermittelt werden (Vgl. S. 318).

Als Beispiele für Bricolage nennt Hebdige die Subkulturen der „Teds“ und der „Mods“. Sowohl die „Teds“ als auch die „Mods“ nutzten das „Gebrauchsgut“ der Mode und setzten Kleidung entgegen ihrer ursprünglich festgelegten Bedeutung ein. Beispielsweise versuchten die „Mods“, die aus unteren Schichten stammten, mit Hilfe der Kleidung ihre eigene soziale Herkunft als unwichtig erscheinen zu lassen. Sie trugen bewusst nicht die Kleidung der eigenen Schicht, sondern die von höher gestellten sozialen Klassen. So trugen die Jugendlichen aus der Arbeiterschicht zum Beispiel Anzüge und Krawatten und sorgten dafür, dass die ursprüngliche Bedeutung dieser Objekte aufgelöst wurde. Ein weiteres Beispiel für die Veränderung der Bedeutung eines Objektes ist der Motorroller. Während der Motorroller ursprünglich ein wertgeschätztes Fortbewegungsmittel war, wurde er von den Widerstandsbewegungen durch Veränderungen an seinem Äußeren zu einem bedrohlichen Objekt verwandelt. Dadurch, dass Objekte zweckentfremdet und ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt werden, wird laut dem britischen Soziologen eine Art Krieg entfesselt, selbst wenn dieser nicht bewusst, sondern im Unterbewusstsein herbeigeführt wird. Dieser Krieg wird auch als „Krieg des Surrealismus“ bezeichnet (Vgl. S. 318f.).

Im weiteren Verlauf des Textauszuges bezeichnet Hebdige die „ästhetischen Praktiken“ des Dadaismus und des Surrealismus als „klassische Formen anarchischer Diskurse“, obwohl sich die Begriffe „Diskurs“ und „anarchisch“ von ihrer Bedeutung her ursprünglich wiedersprechen. In der Kunst des Surrealismus soll das „Verbotene“ und „Abnormale“ verherrlicht und der gesunde Menschenverstand sowie Gegensätze und logisch erscheinende Kategorisierungen aufgelöst werden. Die Künstler des Surrealismus verfolgen das Ziel, „eine neue Surrealität“ entstehen zu lassen. Dieses Ziel wird dadurch erreicht, dass mehrere Realitäten, die ursprünglich voneinander abgetrennt sind, miteinander in Verbindung gebracht werden. Ein Beispiel hierfür wäre, wenn sich ein Teller und ein Schuh auf einem Schreibtisch wiederfinden lassen würden. Der Theorie des französischen Schriftstellers André Breton zufolge, müssen entfremdete Objekte einen neuen Namen erhalten, um sie von ihren ursprünglichen Zwecken loslösen zu können. Durch Entfremdung von Objekten werden bewusst Verwirrungen verursacht. Die neu bezeichneten Objekte entstammen zwar „den Objekten unserer Umgebung“, unterscheiden sich von diesen aber durch ihre Rollenveränderung (Vgl. S. 319f.).

Laut der Auffassung des deutschen Malers Max Ernst stellen sowohl der Bricoleur als auch der Macher surrealistischer Collagen zwei miteinander nicht vereinbare „Realitäten“ gegenüber. Diese Gegenüberstellung führt seiner Meinung nach zu einem „explosiven Zusammenschluss“ (Vgl. S. 320).

Am Ende des ersten Textauszuges betont Hebdige, dass besonders der „Punk-Stil“ als Beispiel für eine „subkulturelle Anwendung anarchischer Formen“ zu nennen sei. Die Angehörigen der Punk-Szene versuchten bestehende Bedeutungen durch Verwirrungen aufzulösen und neue Bedeutungen zu bilden. Hier findet sich der zuvor genannte „explosive Zusammenschluss“ wieder (Vgl. S. 320).

Der zweite Textauszug wird mit der Überschrift „Stil als bedeutende Praxis“ eingeleitet. Zu Beginn schildert der Autor, dass die traditionelle Zeichentheorie uns nicht dazu befähigt den Stil von Punk-Texten zu verstehen, die von Widersprüchen geprägt sind. Die traditionelle Zeichentheorie geht davon aus, dass sich hinter jedem Zeichen eine Botschaft verbirgt. Das Zeichen besteht aus zwei Teilen. Während der Teil des Zeichens der sinnlich erfasst werden kann als das Bedeutende bezeichnet wird, nennt man den „Teil auf den das Bedeutende hinweist“ das „Bezeichnete“. Aus der Beziehung der beiden Teile ergibt sich die Bedeutung oder die Botschaft des Zeichens. Die Botschaft vermittelt eine „zweifelsfreie Aussage“, da die „Zahl von Bedeutenden“ eindeutig festgelegt ist (Vgl. S. 320f.).

Diese traditionelle Zeichentheorie lässt sich nicht auf die „Punk-Subkultur“ übertragen. Die willkürliche Verwendung der Zeichen sorgt dafür, dass sie keiner eindeutigen Bedeutung zugeordnet werden können. Das von traditionellen Konzepten losgelöste „Polysemie-Konzept“ geht davon aus, dass ein Text „eine unbegrenzte Spannweite von Bedeutungen hervorbringt“. Dies hat dazu geführt, dass Textstellen bei denen „das Prinzip der Bedeutung“ fragwürdig ist, genauer betrachtet werden. Nicht das Endprodukt steht im Fokus des Interesses, sondern der „Prozess der Bedeutungsschaffung“ als solcher (Vgl. S. 321).

Laut der neuen Auffassung handelt es sich bei Sprache um eine „aktive Kraft“, die in ihrer Anpassungsfähigkeit nicht limitiert ist und nie zum Stehen kommt. Sie formt das Subjekt und weist ihm seine jeweilige Stellung zu. Die neuen Zeichentheoretiker sehen in der Herausstellung „der bedeutenden Praxis“ den Sieg „des Bedeutenden über das Bedeutete“ (Vgl. S. 321).

Im nächsten Abschnitt definiert Hebdige den Punkt-Stil, der seiner Meinung nach dadurch gekennzeichnet ist, dass er sich nicht aus „leicht identifizierbaren zentralen Werten“ zusammensetzt. Er zeichnet sich durch Unvollständigkeit aus und seine Hauptcharakteristika sind das Gefühl des „Fehl-am-Platz-sein“ sowie der „Ausdruckslosigkeit“ (Vgl. S. 322).

Die Subkulturen der Skinheads und der Punks unterscheiden sich dahingehend, dass die Skinheads eine „Rückkehr zu einer eingebildeten Vergangenheit“ anstreben, während sich Punks von der „Elternkultur“ entfernen wollen. Punks wollen anders sein und stellen sich dadurch bewusst ins Abseits. Auf der einen Seite verfolgen Punks Rituale, in dem sie zum Beispiel „arbeitermäßig“ aussehen wollen, aber auf der anderen Seite versuchen sie ihrer eigenen Identität zu entfliehen und diese zu verbergen. Eine Möglichkeit seine Herkunft zu verbergen ist es sich ein Pseudonym für seinen eigenen Namen auszudenken (Vgl. S. 322).

Bei dem „Arbeiter-Look“ handelt es sich jedoch nur um eine Idee, die in der Praxis nicht umgesetzt wird. Der Punktstil an sich zeichnet sich sowohl durch sexuelle als auch durch soziale Abweichung aus. Punks beziehen sich laut dem britischen Soziologen zwar auf Realitäten, wie zum Beispiel die Schule oder die Familie, doch sobald ein Punk erstmal in den Punk-Stil eingetaucht ist, nimmt er diese nur noch als störende und vom Chaos geprägte Elemente wahr (Vgl. S. 322).

Ein Punk spiegelt „Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft“, wie zum Beispiel „Entfremdung“ oder „Ungleichheit“ wieder. Dies ist aber nur möglich, weil sich Punks in ihrem Stil zum einen von der „Elternkultur“ und zum anderen von den eigenen Erfahrungen, die sie in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Positionen gemacht haben, entfernen. Die Punk-Szene versucht Widersprüche mit Hilfe „visueller Wortspiele“ sichtbar zu machen. Es gibt zwar „symbolische Objekte“, wie zum Beispiel den Pogo-Tanz, der aus der Gruppe der Punks eine „Einheit“ formt, doch diese „Einheit“ ist durch ihre „Brüchigkeit“ gekennzeichnet (Vgl. S. 323).

Innerhalb der Punk-Szene oder einer Subkultur allgemein muss keine Einigkeit bestehen. So können Punks der ersten Stunde sich ihrem Stil, dem eine Trennung von Erfahrung und Bedeutung zugrunde liegt, stärker bewusst sein als Punks, die erst später hinzugestoßen sind. Des Weiteren kann das Engagement der einzelnen Mitglieder einer Subkultur stark voneinander abweichen. Während für den einen die Angehörigkeit zu einer Subkultur zum Lebensinhalt geworden sein kann, wird es auch andere geben, die in der Subkultur nur eine Ablenkung vom Alltagsleben auf der Arbeit oder in der Familie sehen. Eine Subkultur kann zum einen dazu genutzt werden sich dauerhaft von der Familie und der Gesellschaft zu lösen, kann aber gleichzeitig auch dazu dienen am Wochenende Stress abzubauen und danach ins normale Alltagsleben zurückzukehren. Auch wenn die Mitglieder einer Subkultur unterschiedliche Ziele haben und verfolgen, kann die Gruppe nur dann bestehen, wenn die Mitglieder eine „gemeinsame Sprache“ sprechen (Vgl. S. 323f.).

Die Mitglieder einer Subkultur unterscheiden sich dahingehend, dass sie sich in unterschiedlichem Maße darüber bewusst sind, was ihr eigentlicher Stil eigentlich ausdrückt oder ausdrücken soll und wie er es ausdrückt. Subkulturstile hingegen unterscheiden sich durch voneinander abweichende „Grade von Brüchigkeit“. Dies ist eine Ursache dafür, dass zwischen Angehörigen verschiedener Subkulturen Feindschaften entstanden sind. Des Weiteren stehen unterschiedliche Subkulturen auch für voneinander abweichende Inhalte, wodurch weitere Konflikte zwischen diesen entstanden (Vgl. S. 324f.).

Als Beispiel für Konflikte zwischen verschiedenen Subkulturen führt Hebdige die Streitigkeiten zwischen „Teddy-Boys“ und „Punks“ auf. Die beiden Subkulturen unterschieden sich nicht nur von der favorisierten Musik Richtung oder ihrer Kleidung, sondern auch durch „verschiedene rassische Zugehörigkeitsgefühle“. Beide Stile verachteten, wie der jeweils andere Stil seine Bedeutung mitteilte (Vgl. S. 324f.).

Die Stile der Teddy-Boys und der Punks stellen zwei unterschiedliche „bedeutende Praktiken“ dar. Diese Praktiken unterschieden sich im Grade ihrer Geschlossenheit. Subkulturen unterscheiden sich in ihrem Stil voneinander. So können Subkulturen beispielsweise versuchen eine feste Einheit zu bilden oder auch wie die Subkultur der Punks eine brüchige Zusammensetzung anstreben. Einige Subkulturen verfügen über eine progressive Ausrichtung, während andere Subkulturen eher konservativ ausgerichtet sind. Auch in dem Grad in den Subkulturen in die Gesellschaft integriert sind unterscheiden sich diese stark voneinander. Sie unterscheiden sich nicht nur in den Objekten ihres jeweiligen Subkulturstils, sondern auch in den „bedeutenden Praktiken“ (Vgl. S. 325f.).

Literatur:

Auszug aus Dick Hebdige, >>Subculture – Die Bedeutung von Still<<, in: Diedrich Diederichsen u.a., Schocker. Stile und Moden der Subkultur, Reinbeck: Rohwolt 1983, S. 8-120, hier: S. 94-97 u. 108-113 [Subculture: The Meaning of Style, London, New York: Routledge 2002, S. 102-106 u. S. 117-127; Erstausgabe des Buches London: Methuen 1979]. Aus dem Englischen von Michael Kadereit.